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Beziehungsgeschichten im Jetzt...

Zum Bilde Gottes geschaffen

Gepostet Von am 21. Februar 2014 in Wer in der Liebe lebt | Keine Kommentare

Zum Bilde Gottes geschaffenFoto: Rainer Eikel/pixelio.de

Foto: Rainer Eikel/pixelio.de

„Gott schuf den Menschen als Mann und Frau, zum Bilde Gottes schuf er sie“, heißt es in 1. Mos. 1,27. „Als Mann und Frau erschuf er sie.“ Was ist eigentlich eine Frau? Was ist eigentlich ein Mann? Wenn wir diese Frage hören, entstehen Bilder in unserem Kopf. Wir sehen eine Person an, und automatisch ordnen wir sie als geschlechtliches Wesen ein. Mann oder Frau, Junge oder Mädchen – entweder oder.

Dabei ist die Frage, was ein Mann, was eine Frau ist, eigentlich gar nicht so einfach zu beantworten. Woran machen wir unser Urteil fest?

„Es ist klar, dass sie eine Frau ist, aber vielleicht nicht zu 100 Prozent.“

Weltmeisterschaft 2009 in Deutschland. Die südafrikanische Mittelstreckenläuferin Caster Semenya bricht alle Rekorde. Aber Moment mal! Sie startet bei den Frauen, aber sie sieht irgendwie nicht richtig aus wie eine Frau. Ein medizinischer Test wurde gefordert. Die Analyse dauerte Wochen – warum? Es müsste doch einfach sein, das Geschlecht zu bestimmen. Der Generalsekretär des Leichtathletikverbands teilte der Presse schließlich lakonisch mit: „Es ist klar, dass sie eine Frau ist, aber vielleicht nicht zu 100 Prozent.“

Geschlechter sind nicht so eindeutig, wie sie zunächst scheinen. Das Geschlecht eines Menschen wird durch das Wechselspiel vieler Faktoren geprägt. Genetische, hormonelle, anatomische, psychische und soziale Faktoren haben Einfluss darauf. Und die Kombinationen dieser Faktoren sind manchmal eben alles andere als eindeutig. Ein Hormonexperte Universität München sagt: „Manchmal ist die Bestimmung des Geschlechts eine willkürliche Festlegung im großen Kontinuum zwischen männlich und weiblich. Es gibt etliche Frauen, die nach wissenschaftlichen Kriterien eigentlich Männer sind.”

Hermaphroditen oder auch Zwitter hat man früher diese Menschen benannt, deren Geschlecht nicht eindeutig festzustellen war. Weil die Begriffe heute stigmatisierend wirken, gebraucht der Ethikrat den zu Beginn des 20. Jahrhunderts entstandenen Begriff Intersexualität. Aber auch dieser Begriff ist weder eindeutig noch unstrittig. “Die Bezeichnung Intersexualität bezieht sich auf Menschen, die sich aufgrund von körperlichen Besonderheiten nicht eindeu-tig als männlich oder weiblich einordnen lassen (…). Der Begriff Intersexualität, manchmal auch durch Intergeschlechtigkeit oder Zwischengeschlechtigkeit ersetzt, lässt offen, ob es sich um ein drittes Geschlecht handelt oder ob die Zuordnung nur nicht festgelegt oder festlegbar ist.”

In Deutschland leben nach Schätzungen zwischen 80.000 und 120.000 Intersexuelle. Am Anfang gehören wir alle zu dieser Gruppe. Bis zur sechsten Schwangerschaftswoche trägt jeder Fötus Anlagen für beide Geschlechter in sich. Erst danach prägen die Gene in der Regel ein männliches oder weibliches Wesen.

„Gott schuf den Menschen als Mann und Frau, zum Bilde Gottes schuf er sie“. In diesem Vers in der Genesis geht es um die Gottebenbildlichkeit der Menschen. Die Vorstellung von der Gottebenbildlichkeit kennt schon die altorientalische Königsideologie. In Ägypten war der Pharao Abbild Gottes und ließ von sich Statuen erstellen. Israel duldete keine kultischen Bilder des Göttlichen, aber das bedeutete keineswegs ein Ende der Vorstellung vom Bild Gottes.

So taucht in 1. Mos. 1,27 die Vorstellung in anderer Weise wieder auf: Nicht Statuen, sondern lebendige Menschen sollen hier das Bild Gottes sein. Das war eine sehr kühne Vorstellung in einer kulturellen Umwelt, die Gott nur durch konkrete Bilder repräsentiert sah. Noch kühner aber ist die damit verknüpfte Idee, dass nicht nur der König oder Pharao, sondern alle Menschen Bild Gottes sein sollen! Alle Menschen sollen Gott in der geschaffenen Welt repräsentieren und sie nach seinem Willen gestalten. Ein Bild Gottes zu sein, meint insofern keine Entsprechung in Aussehen und Gestalt, sondern in der Funktion. Es geht um die Repräsentanz der göttlichen Macht in der Welt.

„Doch 1. Mos. 1,27 zielt nicht auf der Unterschiedlichkeit von Mann und Frau, sondern auf die allen Menschen zukommenden Würde und Verpflichtung.“

Folglich ist der Mensch nicht nach dem Bilde Gottes, sondern zum Bild Gottes geschaffen. Dieses beinhaltet eine Aufgabe, nämlich die, sich verantwortlich handelnd zu seinem Lebensraum und den Lebewesen darin verhalten. Insofern der Mensch das tut, ist er oder sie Bild Gottes. Zum Bilde Gottes geschaffen zu sein, ist somit das Charakteristikum der ganzen Menschheit.

Oftmals wurde diese Bibelstelle als Beleg für eine von Gott gewollte Zweigeschlechtlichkeit verstanden. Und ebenso oft wurde gesagt, 1. Mos 1 begründe die grundlegende Differenz zwischen Männern und Frauen. Doch 1. Mos. 1,27 zielt nicht auf der Unterschiedlichkeit von Mann und Frau, sondern auf die allen Menschen zukommenden Würde und Verpflichtung. Bezüglich des Zum Bild Gottes Geschaffen-Seins des Menschen ist deshalb gerade nicht zwischen männlichen und weiblichen Menschen zu unterscheiden. Der Schöpfungsbericht zielt auf die Beteiligung einer Gesamtheit, nicht auf eine polar konstruierte Zweigeschlechtlichkeit. Diese ist eine Erfindung der Neuzeit.

Die Unterscheidung zwischen Frauen und Männern, wie wir sie in 1. Mos 1,27 vorfinden, ist zu verstehen als ein Kontinuum von A nach B, mit vielen Zwischenräumen und fließenden Übergängen. In diesem Kontinuum sind alle Geschlechter beheimatet, nicht nur Frauen und Männer. Intersexuelle und transsexuelle Menschen sind keine Montagsproduktionen Gottes, keine Stiefkinder der EWIGEN. Sie sind geschaffen zum Bilde Gottes. Menschen in ihrer ganzen Vielfalt – auch in ihrer Geschlechtervielfalt – sind geschaffen zum Bilde Gottes.

Die Pluralität von geschlechtlichen Identitäten zu achten, bedeutet eine Befreiung von den Fesseln einer historisch konstruierten Geschlechterordnung, die viele Menschen unterdrückt und ausgrenzt: Frauen, Intersexuelle, Homosexuelle, Transgenderpersonen und solche, die als „nicht männliche“ Männer bzw. „nicht weibliche“ Frauen gelten.

Mit der Wahrnehmung und Achtung von Geschlechtervielfalt erhält das Wort Geschlechtergerechtigkeit einen neuen Klang: Es wird weiter, umfassender. Und es trifft den Kern des biblischen Gerechtigkeitsverständnisses: Allen Menschen ist die göttliche Gerechtigkeit zugesagt, denn alle sind geschaffen zum Bilde der EWIGEN.
Amen.
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DR. ESKE  WOLLRAD, Geschäftsführerin der Evangelischen Frauen in Deutschland

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