Mit Mitte Fünfzig ist Elke zum ersten Mal richtig solo. Mit einer neuen Partnerschaft rechnet sie überhaupt nicht mehr. Dann trifft sie Martina wieder.
Eigentlich aus Versehen, denn als sie Urlaub in Norddeutschland bucht, wird sie irrtümlich genau in dem Dorf einquartiert, in dem sie drei Jahrzehnte zuvor im Studium gewohnt hatte. Martina ist immer noch hier. Also fasst sich Elke ein Herz und besucht sie. Und sie verlieben sich.
Ein Arbeitersohn mit typischen Rollenvorgaben
Elke ist evangelische Pfarrerin am Niederrhein. Mit fünf Kindern aus erster Ehe, zweien aus einer darauf folgenden. Die zweite Ehe war zuvor zerbrochen. Auszug, Kontaktabbruch, Klinikaufenthalt, Psychotherapie folgten damals. Das ganze Programm – und noch etwas Entscheidendes mehr.
Denn: Elke wird als Hans-Gerd geboren, Arbeitersohn in Düsseldorf. Der wächst auf mit klaren typischen Rollenvorgaben. Nicht ungewöhnlich, Pfarrer zu werden und eine Stelle weit draußen auf dem Land zu besetzen. Verheiratet zu sein, Vater zu werden. Eher unüblich sind da schon die Wohnverhältnisse in dieser ersten Ehe: Keine klassische Pfarrresidenz, sondern ein von den Partnern zusammen gebautes Haus, jeweils mit getrennten Wohnbereichen, aber einem gemeinsamen für das Leben mit den Kindern. Arrangements. Schließlich war schon lange merkbar, dass es da etwas gibt, das den Mann in der Beziehung innerlich zerreißt. Doch die Kinder, die Arbeit – stets schien etwas wichtiger zu sein. Das Leben als Familie fand also statt – nur die Partner lebten sich dabei auseinander.
Aber es gibt eine neue Liebe: „Als dann ein Mensch für mich nochmal da war, der sagte: ‚Du bist so – aber wo ist erst mal das Problem? Herzlich willkommen, komm zu mir!‘, waren natürlich Schleusen geöffnet und, ja, Sehnsüchte und Erwartungen plötzlich gestillt.“ So beschreibt Elke heute die darauf folgende Beziehung zu einer Frau im Nachbarort. Ein neues Arrangement: Hier kann sich Hans-Gerd als Frau geben, zuhause. Er zieht um, heiratet wieder, zwei weitere Kindern kommen.
Bis er sich zum 50. Geburtstag entscheidet. Es ist die ernste Frage zur Lebensmitte: „Wie will ich einmal aus dieser Welt gehen?“ Hans-Gerd empfindet darauf hin sein Leben als eine Lüge. Er will sich jetzt auch offiziell zu den eigenen Gefühlen bekennen. Sich zeigen. „Das hat damit zu tun, wie ich meine Identität nach außen lebe, und ob ich das, was ich meine, was in meiner Seele steckt, auch äußerlich vorkommen lasse.“ Seine Frau kann da nicht mehr mit, die gesamte Familie wendet sich ab, Hans-Gerd muss ausziehen.
Wie neu geboren
Aus der Krise geht schließlich Elke hervor – wie neu geboren, unter heftigen Schmerzen. Nicht mehr Mann, ohne Partnerschaft. Voller Ungewissheit: Werden meine Kinder den Kontakt zu mir halten? Ist es wenigstens möglich, am altvertrauten Platz zu arbeiten?„Alles, aber wirklich alles stand bei meinem 54. Geburtstag zur Disposition,“ sagt sie.
Doch es geht gut. Nach der Einnahme von Hormonen ist ein Gefühl präsent: So ist es endlich richtig! Die Kinder kommen wieder auf sie zu. Die Gemeinde steht zu ihr, mit wenigen Ausnahmen. Im vollgepfropften Pfarrsaal heißt es noch einmal, sich seelisch ganz und gar zu exponieren. Aber dann entflammt die Solidarität. Der Pfarrer war so beliebt gewesen, dass die Pfarrerin sich auf die Loyalität der Leute stützen kann.
Sie fühlt sich wohl als Frau. Und so traut Elke sich dann, im Urlaub den alten Kontakt mit der früheren Freundin wieder aufzunehmen, und sich zu verlieben. „Martina kann sich ganz auf mich einlassen, wie ich jetzt bin – ohne 25 Jahre als Folie ständig vergleichen zu müssen“, freut Elke sich.
Jetzt führen sie, erst einmal, eine Fernbeziehung. Manchmal ist die neue Freundin in der Gemeinde zu Gast. Dann kann es vorkommen, dass jemand schief guckt, weil Elke nun was mit einer Frau hat. Es kommen aber auch Paare, die Beziehungsberatung haben möchten: Denn die Pfarrerin kenne doch beides: Mann zu sein und Frau.