Mitte vierzig ist Gerhard, als er eine junge Kollegin in sein Team holt. Karin, Anfang Dreißig, hat zwei Kinder, die aus dem Gröbsten raus sind und will beruflich durchstarten. So fangen eigentlich Arztromane an: Chef verliebt sich in Mitarbeiterin, sie ist deutlich jünger, bewundert ihn jungmädchenhaft. „Da fühlte ich mich natürlich sehr gemocht und sehr gewollt.“ Er, der als junger Mann kein Frauenheld war, erlebt sich in einer neuen Rolle. „Wenn wir Männer älter werden – das ist bei Frauen anders – und nicht vergessen, uns zu waschen und zu rasieren, bekommen wir ja plötzlich Blicke gesendet, die ich gerne als junger Mann gehabt hätte.“
„Ich bin jeden Tag dankbar, dass ich Karin lieben darf.“
Aufgewachsen in einem Pastorenhaushalt als jüngstes von zehn Geschwistern, prägen ihn lange die sehr konservativen Moralauffassungen, die seine Familie bestimmten. Ein übermächtiger, unerreichbarer Vater und eine Mutter, die ihn von den Mädchen fernhalten wollte, lassen seinen Entschluss reifen: „Ich werde nicht heiraten.“ Dass er doch heiratet, ist nicht zuletzt dem Erwartungsdruck seiner Familie geschuldet. Die Ehe scheitert. „Liebe muss immer eine freie Entscheidung bleiben. Ich bin jeden Tag dankbar, dass ich Karin lieben darf“, sagt der heute 72-Jährige. Fast drei gemeinsame Jahrzehnte leben Gerhard und Karin als Paar, Eifersucht, Verzweiflung und zeitweilige Trennung eingeschlossen. Eine Wohnung geteilt haben die beiden nie.
„Ich weiß, dass ich eine Zeitlang gesagt habe: ich wünsche mir eigentlich, dass wir den Mut hätten, hinter eine gemeinsame Wohnungstür zu gehen.“ Beide kannten das Familienleben in gemeinsamen Räumen. „Der Alltag, das Sich-gewöhnen wird so überstark, dass das Besondere am anderen keinen Platz mehr hat zu blühen.“ Da muss der Rasen gemäht, das Auto gewaschen, dies und das gemacht werden. „Ich frage mich, wie viel Paare in einer entsprechend langen Zeit, nämlich 27 gemeinsamen Jahren, sich überhaupt zwei Stunden am Tag oder auch nur eine intensiv unterhalten, ohne dass eine Unruhe ist.“ Wie ist es denn, wenn man nach einem langen Arbeitstag nach Hause kommt? „Ist man dann so wach und prall auf den anderen? Hat man nicht eher das Gefühl, hoffentlich lässt mich der andere in Ruhe? Das habe ich doch auch erlebt.“ Nach reiflicher Überlegung belassen sie es bei zwei Wohnungen und fast täglichen Treffen. Dann wird alles auf den Tisch gelegt, was der Tag mit sich gebracht hat. „Wenn wir zusammen sind, sind wir nur füreinander da.“
„Der ganze Eifersuchtskram bringt uns nicht weiter. Ich kann das nicht und ich will das auch nicht.“
Ein Weg des gemeinsamen Lebens, der viel Vertrauen benötigt. Auch das musste wachsen im Laufe der Jahre. Denn eigentlich wollten sie eine freie Beziehung leben. „Da sind wir – Gott sei Dank – gnadenlos gescheitert!“ Es war eine kräftezehrende Phase ihrer Liebe. „Wir haben beide gelitten wie die Hunde, waren wahnsinnig eifersüchtig.“ Ihm wird klar: „Der ganze Eifersuchtskram bringt uns nicht weiter. Ich kann das nicht und ich will das auch nicht!“ Es brauchte also etwas ganz anderes: Vertrauen.
„Wenn sie sagt ‚ich liebe Dich und will mit Dir zusammen sein‘, dann will ich dem vertrauen. Sie soll auch mir vertrauen, wenn ich sage ‚ich liebe Dich und will mit Dir zusammen sein‘. Aber: Du bist nicht mein. Du gehörst nicht mir.“ Sobald dieser Besitzanspruch ins Spiel kommt, findet die Liebe immer weniger statt, beobachtet Gerhard in seinem Umfeld. Weil die Liebe keine freie Entscheidung mehr ist. „Liebe ist kein Abo. Das ist allenfalls eine Tageskarte, die morgen schon nicht mehr gültig sein muss.“
Eine Lebens- und Liebeshaltung, die Mut und Kraft erfordert. „Mit einer jüngeren Frau merkt man sein eigenes Alter viel stärker als mit einer gleichaltrigen Frau.“ Zwölf Jahre sind, je nach Lebenssituation, kaum oder auch deutlich spürbar. Sie sind kein unveränderliches Maß. „Ich weiß ja nicht, wohin ich mich entwickle. Und ich verlange nicht von ihr, dass sie sich mit einem greisenhaften Kerl abgibt. Wär ja fatal. Sag ich jetzt so. Wie das dann tatsächlich aussieht, ist noch die andere Frage.“