„Mein Bruder Jonatan, mein bester Freund. Voll Schmerz und Trauer weine ich um dich; denn deine Freundschaft hat mir mehr bedeutet, als Frauenliebe je bedeuten kann.“ Mit diesen Sätzen endet das Klagelied Davids auf Saul und seinen Freund Jonatan im Buch Samuel.
Männerliebe. Gemeint ist nicht der augenzwinkernde Kumpelsatz am Männerstammtisch: „Mensch, wahre Liebe gibt es doch nur unter Männern“. Gemeint ist auch keine Herabsetzung der Liebe zwischen Männern und Frauen. Es handelt sich vielmehr um ein Bekenntnis. David bekennt sich zu seiner Liebe zu Jonatan, dieser einmaligen und von ihm nie wieder erlebten Liebe.
„Darum sollten wir auch nicht mehr von Homo-, Bi- und Heterosexualität sprechen, sondern nur noch von Liebe, die sich jederzeit zwischen zwei Menschen ereignen kann, welchem biologischen Geschlecht sie auch zugehören.“
Dass es Liebe zwischen Männern gibt, ist sogar dort umstritten, wo so viel von Liebe die Rede ist: in der christlichen Kirche. „Aber zwischen solchen Männern, da gibt es doch keine Liebe. Da geht es doch zu wie im Bordell“, empört sich ein Besucher einer kirchlichen Veranstaltung. Ich habe ihn nicht nach seinen Bordellerfahrungen gefragt. Was er aussprach, entspricht dem gängigen Vorurteil: Liebe gibt es nur zwischen Mann und Frau. Frauen mögen sich lieben, aber da ist kein Sex dabei. Bei Männern gibt es nur Sex, aber keine Liebe.
Dass Männer Männer lieben können mit allen Ausdrucksformen der Liebe einschließlich unserer sexuellen Begabung, muss ich nicht beweisen. Der große Psychoanalytiker Fritz Riemann hat in seinem Buch über die Liebesfähigkeit des Menschen festgestellt, dass die menschliche Liebesfähigkeit nicht geschlechtsgebunden ist und sich eine homosexuelle Liebe von einer heterosexuellen in nichts zu unterscheiden braucht. Sogar der mörderische Rudolf Höß, Kommandant in Auschwitz, musste einräumen, dass die Männer mit dem rosa Winkel lieber gemeinsam in den Tod gingen als sich trennen zu lassen, wenn einem von beiden ein Chance zum Überleben versprochen wurde.
David liebte Jonatan und Jonatan liebte David. Daran besteht kein Zweifel. „Als David aufgehört hatte mit Jonatan zu reden, verband sich das Herz Jonatans mit dem Herzen Davids, und Jonatan gewann ihn lieb wie sein eigenes Herz.“ So beginnt ihre Liebesgeschichte, die nur eine kurze Blüte erlebt zwischen politischen Intrigen und mörderischen Schlachten, verfolgt von der Eifersucht und dem Hass des verlorenen Königs Saul.
Wenn wir von schwulen Männern sprechen, dann begrenzen wir unsere Vorstellungen auf Männer, „die nun einmal so veranlagt sind“. Aber homo- und heterosexuell liebende Menschen stehen sich nicht wie schwarze und weiße Schafe gegenüber. Unsere Normen propagieren gerne das Entweder – Oder. In unserer Lebenswirklichkeit begegnet uns aber weit häufiger das Sowohl – Als auch.
„Wie der Geist weht, wo er will, so weht auch die Liebe, wo sie will.“
Darum sollten wir auch nicht mehr von Homo-, Bi- und Heterosexualität sprechen, sondern nur noch von Liebe, die sich jederzeit zwischen zwei Menschen ereignen kann, welchem biologischen Geschlecht sie auch zugehören. Zu Recht hat Helmut Gollwitzer in seiner Auslegung des Hohenliedes Salomo geschrieben: „Jede Zweierbeziehung ist ein schlechthin besonderer Fall. Wie der Geist weht, wo er will, so weht auch die Liebe, wo sie will.“
Der Name für Gott in der Johannestradition ist Liebe: „Liebe Freunde, wir wollen einander lieben, denn die Liebe kommt von Gott. Gott ist Liebe. Wer in der Liebe lebt, der lebt in Gott, und Gott lebt in ihm“. Ich höre schon die Stimmen kirchlicher Dogmatiker, die sagen: „Aber damit ist doch die geistig-geistliche Liebe gemeint, die Agape, die Nächstenliebe – doch nicht die körperliche Liebe, doch nicht Eros und Sexus.“
Diese Aufspaltung der Liebesfähigkeit des Menschen diente der Kirche durch Jahrhunderte hindurch dem Zweck, die Sexualität herabzusetzen und zu verteufeln. Ich antworte mit Thomas Mann, der in seinem Zauberberg bewundernd feststellen lässt: „Ist es nicht groß und gut, dass die Sprache nur ein Wort hat für alles, vom Frömmsten bis zum Fleischlich-Begierigsten. Liebe kann nicht unkörperlich sein in der äußersten Frömmigkeit und nicht unfromm in der äußersten Fleischlichkeit, sie ist immer sie selbst“.
Es ist nicht nur dumm, sondern geradezu bösartig, Liebe kategorisieren, normieren und auf die Beziehung von Frau und Mann reduzieren zu wollen. Liebe ereignet sich zwischen Menschen, ob sie Männer oder Frauen sind. Und niemand hat das Recht, Liebe zu verbieten und zu verleumden. Gerade die Kirche, die eine Propagandistin der Liebe sein müsste, sollte für die Liebe eintreten: an allen Orten, wo sie sich ereignet. Denn es kommt nicht darauf an, wen ein Mensch liebt, sondern ob und wie er das tut! Und ereignet sie sich unter Männern, sollte sich die Kirche besonders freuen. Denn was ist geeigneter, dem Frieden zu dienen, als Männerliebe?
Hans-Georg Wiedemann ist Pfarrer im Ruhestand